
Maibaum in Mauterndorf / Lungau
Der Tanz um den Lebensbaum
war einst eine kultische, eine heilige Handlung
deren Ausübungsgebiet in ganz Europa verbreitet war
Als Maibäume wurden früher Linde, Eiche, Tanne, Birke, Birnbaum, Nußbaum oder Hollunder gesetzt, die Maibäume wechselten jährlich. Die Tradition, diese Bäume zu schmücken und aufzustellen ist sehr alt.
Der Tanz um den Lebensbaum hatte einst nicht nur eine festliche, sondern auch eine religiöse Bedeutung, die mit den kosmischen Rhythmen und dem Wechsel der Jahreszeiten verbunden war. Die Menschen tanzten zu Weihnachten, zur Jahreswende, im Frühling, zur Sommersonnenwende und bei Erntebräuchen. Der Tanz fand dabei um einen lebenden Baum statt, der als Symbol für das Zentrum der Welt fungierte.
In vielen Regionen wurde der Baum bis zum Wipfel abgeschält, und es hieß, dies sei eine Maßnahme, um die Hexen davon abzuhalten, sich unter der Rinde zu verbergen. Diese Vorstellung spiegelt jedoch eher den Glauben an den Schutz des Baumes wider, der als Symbol der Fruchtbarkeit und des Lebens galt.
Das Abschälen der Rinde hatte einen rituellen Hintergrund, der mit der Verehrung einer Baumgöttin zusammenhing. In den alten Kulturen wurde der Baum als eine Manifestation der Göttin betrachtet, die im Zentrum des Lebens steht und deren Kraft in der Baumstruktur verkörpert wird.
Im Gailtal in Kärnten wählt die Maibraut, geschmückt mit einem selbst geflochtenen Kranz, der von den Mädchen des Dorfes gefertigt wird, ihren Partner, mit dem sie den Tanz unter der Linde eröffnet. Der Kranz symbolisiert die Verbindung der Gemeinschaft und den Beginn des Frühlings, während der Tanz die Vitalität und das Wachstum der Natur anregen soll. Das Umtanzen von Bäumen und heiligen Orten wurde durchgeführt, um die Felder, Gärten und Tiere vor Schäden zu bewahren und ihr Wachstum zu fördern.
Barbara Walker berichtet, dass das Flechten oder Spinnen des Schicksalskreislaufes in vielen heidnischen Tänzen, wie zum Beispiel dem Maibaumtanz, nachgespielt wurde. Hierbei symbolisierten Bänder die Strahlen der Sonne und des Mondes. Am Abend vor dem ersten Mai umtanzten die Tänzerinnen den Baum entgegen der Richtung des Sonnenlaufs, also mit dem Mondumlauf, denn diese dem Uhrzeigersinn entgegengesetzte Richtung war den Frauen geweiht. Die Tänzer bewegten sich dagegen andersherum, also in Richtung des Sonnenlaufes. Aus diesen Tanzfiguren resultierte ein Geflecht, das die gegenseitige Durchdringung der männlichen und der weiblichen Kräfte versinnbildlichte.1
In Schladming und im Salzburger Land wurden ebenfalls solche Tanztraditionen gepflegt. Der Bandltanz, dort auch als Zopftanz bekannt, wurde um lebende Bäume getanzt. Die weißen und roten Bänder die dabei verwendet wurden, trugen symbolische Bedeutungen: Das Weiß steht für die Weiblichkeit, das Rot für die aktive, schöpferische Kraft des Mannes. Der Tanz wird so zu einer kraftvollen Verbindung der Geschlechter und ein Symbol für die Erneuerung und das Leben.
Im Pinzgau gab es den originellen Unkener Stelzen Bandltanz. Hier tanzte eine Tänzerin als irdische Vertreterin der Göttin, die sich in einer symbolischen Verwandlung, vom Alter zur Jugend, erneuerte. Dieser Tanz, der früher von mehreren Männern und Frauen auf Stelzen getanzt wurde, ist ein faszinierendes Beispiel für die tiefere Bedeutung des Tanzes um den Baum, als symbolische Handlung der Erneuerung und des Übergangs in ein neues Lebensstadion.
In all diesen Traditionen spiegelt sich der tiefe Bezug der Dorfgemeinschaften zur beseelten Natur und der Wunsch, zur Erneuerung des Lebens beizutragen. Der Tanz um den Maibaum ist nicht nur ein festlicher Brauch, sondern ein kraftvolles Ritual, das die Menschen mit den kosmischen Kräften verbindet und die Zyklen der Erde ehrt, achtet und feiert.
[1] Barbara G. Walker, Das geheime Wissen der Frauen, Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1993,S 338
Kommentar schreiben